Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.

Predigt zum 31. Januar 2021 zur Jahreslosung- Pfarrerin Stroband- Latour,

 

Als Kind wusste ich:

Jeder Schmetterling

den ich rette

Jede Schnecke

Und Spinne

Und jede Mücke

Jeder Ohrwurm

Und jeder Regenwurm

Wird kommen und weinen

Wenn ich begraben werde

 

Einmal von mir gerettet

Muss keiner mehr sterben

Alle werden sie kommen

Zu meinem Begräbnis

 

Als ich dann groß wurde

Erkannte ich

Das ist Unsinn

Keines wird kommen

Ich überlebe sie alle

 

Jetzt im Alter frage ich mich:

Wenn ich sie aber rette bis ganz zuletzt

Kommen doch vielleicht zwei oder drei?   (Erich Fried)

 

 

Liebe Schwestern und Brüder in unseren Gemeinden der Südregion,

liebe Hörerinnen und Hörer,

Erich Fried hat dieses Gedicht geschrieben. Es endet mit einer Frage:

Kommen doch vielleicht zwei oder drei?

Ich möchte gerne mit Ihnen auch einigen Fragen nachgehen. Fragen, die vielleicht beim ersten Lesen etwas naiv klingen mögen so wie Erich Frieds Frage.

Meine Fragen:

  • Können Krokodile weinen?
  • Was ist der Unterswchied zwischen Mitleid und Barmherzigkeit?
  • Was ist dem verstorbenen Präses Peter Beier, Albert Schweitzer und dem Papst Franziskus gemeinsam?
  • Und: Was geht uns das alles an?

Die erste Frage ist vielleicht am einfachsten zu beantworten.

Krokodile können nicht weinen. Sie haben aber die vielbesagten Krokodilstränen. Diese sind eine sozusagen körperliche Reaktion, wenn sie ihr Maul beim Fressen ihrer Beute so weit aufreissen, dass es einen Druck gibt auf die Tränendrüsen … nein, sie weinen also nicht aus Mitleid über den Tod ihrer Beute. Und sie heucheln auch nicht Mitleid, wie man es ihnen angesichts der Tränen nachsagte.Tränen fließen und sind ins Sprichwörtliche eingegangen.Aber nein, weinen können Krokodile mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht.

Aber wie alle Tiere können sie Schmerz empfinden, Angst haben, traurig sein und viele andere Empfindungen haben, die auch wir kennen. Nur Tiere äussern diese Gefühle anders. Wer mit Tieren aufgewachsen ist, wer Tiere bei sich hat und mit ihnen lebt, der wird das bestätigen können. Nicht nur Krokodile weinen nicht, auch andere Tiere- soweit wir wissen -nicht. Aber sie fühlen und sie sind Lebewesen so wie wir.

Und die Krokodilstränen?

Helfen nicht, sagte einmal eine Kampagne von Brot für die Welt- Eine Kampagne, in der es um unser Engagement für die Dritte Welt geht. Da tut uns auch Vieles leid. Wenn wir sehen wie Menschen leiden überall auf diesem Erdenrund. Auch wie Tiere leiden. Aber, die Kampgne hat Recht: „Krokodilstränen helfen nicht.“

Krokodilstränen helfen weder Mensch noch Tier.

„Am Abend eines milden Sommertages schoß ich von der Veranda des Stadthauses  eine Taube  aus der alten Linde. Ich schoß und traf sie zwischen den Flügelblättern. Sie flog noch ein Stück und lag im Schatten der Barbarakirche. Das ist fünfzig Jahre her. Und es war nicht nötig.“

So erinnert sich Peter Beier an ein Erlebnis seiner Jugendzeit. Derselbe Peter Beier, der später Präses unserer Landeskirche wurde und eben fünfzig Jahre später schreibt: „Unter der Hölle der Menschen- die Hölle der Tiere.“

Der Satz Max Horkheimers bedarf keiner Prüfung. Er ist wahr. Legehennenbatterien, Schweinetransporte von Warschau nach Mailand, Robbentotschlag, Tierversuche en gros, Waljagd, ein Hund, den man bei Antritt der Ferienreise auf der Autobahn aussetzt, der Elefant, ein Tonnenkadaver, irgendwo im afrikanischen Busch. Man brach ihm die Stoßzähne aus. Klar wissen wir, sehen wir es beim Hüpfen von Kanal zu Kanal nach der Tagesschau. …In Wuppertal gibt`s derweil ein Symposium über Mitgeschöpflichkeit. Die Zyniker werden dazu ihre zynischen Bemerkungen ablassen. Nicht wahr? Herr Präses, wir haben andere Sorgen beim Überlebenstraining der Art. Die Träne über einen ölverschmierten Reiher können wir uns nicht leisten.Der Mensch zuerst. Es geht um sein Leben. Eben!“

Liebe Gemeinde, 1993 hat Präses Beier dies gesagt. Manches hat sich gar zum besseren inzwischen getan. Tierschutzgesetze zum Thema Hühnerhaltung, Tiertransporte, Robbenschlachtung und Artenschutz.

Aber „unter der Hölle der Menschen die Hölle der Tiere“ ist dennoch geblieben. Wer war nicht in Zeiten von Corona und den Infektionszahlen in Fleischbetrieben  erschüttert über die Zustände- der dort Arbeitenden, aber auch der Massenschlachtungen- ohne Rücksicht auf Angst, Schmerz, Würde… auch der Tiere, der Mitgeschöpfe. Und wer die Augen nicht zumachen möchte, der kann all die Bilder und Videos sehen auf Youtube oder in entsprechenden Berichten, wie Tiere gehalten, transportiert und getötet werden.

Und es ist nicht nötig! Zumindest nicht so.

Die Tiere mit ihren angstvoll aufgerissenen Augen – sie tun uns leid!

Aber  Krokodilstränen helfen nicht.

Und da sind wir bei der zweiten Frage:

Was ist der Unterschied zwischen Mitleid- und- Barmherzigkeit?.

Mitleid ist ein Empfinden. Ich empfinde Mitleid, wenn  es einem Menschen, einem Tier, noch dazu hilflos und ausgeliefert, nicht gut geht. Wenn da eine Not ist, die mir zu Herzen geht. Ja, ich kann aus Mitleid weinen. Aber das ist noch lange keine Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist eine Tat, eine Handlung, eine Bewegung, eine Veränderung meines Verhaltens. Ich ergreife die Initiative, ich werde tätig- und das, ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten!

Der biblische barmherzige  Samariter hat nicht nur Mitleid. Er weint nicht nur Tränen oder gar Krokodilstränen! Er packt an, packt auf, den blutenden, verschwitzten, vermutlich stinkenden Mann da auf der Straße , setzt ihn auf seinen Esel und bringt ihn dorthin, wo ihm weitergeholfen wird. Eine Herberge, da hinterlässt er das nötige Geld, aber vorher hat er getan, was nötig war. Und zwar ohne Berechnung, ohne Hintergedanken, ohne Kalkül, was bringt mir das? Und er hat sich auf dieses Gegenüber in seinem Schicksal und seinem Leid eingelassen! Ja, er hat sich eingelassen!

Das ist Barmherzigkeit, die Jesus den Hörern seiner Zeit und uns vor Augen stellt.

Barmherzigkeit ist also mehr als das Beklagen der Zustände. Auch- und das ist das Thema dieser Predigt- der Zustände rund um unser Leben auf diesem Erdenrund und das der Geschöpfe, die mit uns hier leben.

Nein, Peter Beier musste diese Taube nicht totschießen. Ein Jungenstreich. Übermut. Was auch immer. Und auch wir müssen manches nicht tun. Nicht nach dem billigsten Fleisch schauen. Nicht in Kauf nehmen, dass die Bauern unter Druck gesetzt werden so billig wie möglich zu „produzieren“. Und auch die Auflagen zum Umweltschutz, die wichtig und richtig sind, setzen die Landwirte unter  Druck, wenn da nicht auf Kundenseite die Bereitschaft ist deutlich mehr zu zahlen für umweltschonend hergestellte oder produzierte Waren. Und das wiederum hat natürlich auch mit dem zu tun, wie nicht nur Gemüse und Getreide angebaut werden, sondern auch Tiere gehalten werden.

Die Artenvielfalt steht hier auf dem Spiel. Insektensterben- seit Jahrzehnten.

Die Art wie Tiere gehalten werden und damit ihre Würde, ich sage das jetzt so, steht auf dem Spiel. „Tierwohl“?  Es ist ein Witz, wie der Unterschied zwischen den unterschiedlichen Haltungsformen 1, 2, 3 und 4 ist. Eine Handvoll mehr Stroh? Ein paar Quadratzentimeter mehr Platz pro Tier?

Massentierhaltung, die Transporte, der Umgang mit dem Tier als seelenlose Ware zur Produktion von Fleisch, die Schlachtungen im Fließbandverfahren… „Und es ist nicht nötig“. Nein. Nicht in unserem Land.

Meine Tochter erzählte mir von einer Szene aus Uganda: Auf einem stinkenden Moped saßen 3 Menschen und hinten flatterten links und rechts 10 Hühner, an den Füßen zusammengebunden. Ja, so mag die Notwendigkeit sein in einem Land, in dem Tiere transportiert werden müssen, es keine Kühlung gibt und niemand Geld hat um es anders zu machen. Aber wir sind nicht in Uganda.

Es geht nicht darum, dass wir alle Vegetarier oder gar Veganer sein müssten. Und ich möchte nicht, dass es in unserer Heimat keine Hühner, Gänse, Kühe oder Schafe oder Schweine auf den Wiesen und in den Ställen gibt, oder wir gar angewiesen wären auf Fleisch aus China oder anderen Ländern, in denen man garnichts auf artgerechte Haltung und Umweltschutz gibt. Schon garnichts gibt auf Barmherzigkeit den Tieren gegenüber. Aber ich wünsche mir eine artgerechte Haltung bei uns bis hin zur Schlachtung. Ich wünsche mir respektvollen Umgang nicht nur mit Hunden, Katzen oder Pferden, die uns allen lieb und teuer sind, sondern auch mit den Tieren, von denen wir leben oder / und die mit uns -ob groß oder klein –in diese Schöpfung gestellt sind.

Ist das ein Thema für eine Predigt?

Ist das ein Thema für eine Predigt zur Jahreslosung?

Ja. Auch wenn die Welt natürlich gerade auch andere Problene hat. Ich weiß.

Aber das Thema unseres Umgangs mit den Mitgeschöpfen bleibt aktuell.

„Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“. So heißt es in den Sprüchen der Bibel. In den 10 Geboten wird auch der Tiere gedacht. Am 7. Tag sollst Du ruhen….. Da sollst Du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt  lebt….So haben wir es im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt. Auch das Tier darf Anteil haben am Geschenk der Ruhe und des Sabbats. Auch das Tier verdient es wahrgenommen zu werden in seinen Bedürfnissen.

Es gibt in der kirchlichen Tradition sieben Werke der Barmherzigkeit:

Hungrige speisen, Durstige tränken, Nackte kleiden, Fremde beherbergen, Gefangene erlösen, Kranke besuchen, Tote begraben.

Die ersten sechs stammen aus dem Matthäusevangelium im 25. Kapitel, das 7. kam später schließlich dazu. 7 ist die Zahl der Vollkommenheit und wir hätten wahrlich genug mit ihnen zu tun um sie zu erfüllen.

Papst Franziskus war es, der 2016 einlud diesen 7 Werken der Barmherzigkeit ein achtes hinzuzufügen: Barmherzigkeit der Natur und allen Geschöpfen gegenüber zu zeigen: „Wenn wir die Natur schlecht behandeln behandeln wir auch den Menschen schlecht.“ Und er bedenkt dabei ausdrücklich so wie sein Namensgeber Franz von Assisi die Tiere.

Wir bekennen vor Gott, dem Schöpfer der Tiere und vor unseren Mitmenschen: Wir haben als Christen versagt, weil wir in unserem Glauben die Tiere vergessen haben,….Wir haben den diakonischen Auftrag Jesu verraten und unseren geringsten Brüdern , den Tieren, nicht gedient“, hieß es im Glauberger Schuldbekenntnis 1988, das ausser Kurt Marti, Eugen Drewermann, Heinrich Albertz  mehr als 400 Theologen unterschrieben hatten. Aber wer weiß das schon? Und wenn man es weiß berühren uns dann diese Worte? Dieses Bekenntnis?

Uns mögen kirchliche Traditionen oder Bekenntnisse wie dieses unbekannt sein oder wir fragen uns nach der Wichtigkeit in der heutigen Welt, die an so vielen Stellen brennt.

Ja, die Worte mögen uns vielleicht nicht berühren. Aber vielleicht berührt uns doch das Leid der Tiere.

Und ihr Schicksal hat mit unserem zu tun. Erich Frieds Käfer und Genossen, auch die ganz großen, sind in ihrer Artenvielfalt bedroht. Und der Umgang, den wir mit Tieren haben- Nutztiere, wie wir sie aus unserer Sicht definieren- hat etwas mit

unserem Wesen und unserem Blick auf die Schöpfung und der Achtung vor dem Leben zu tun.

Hat Gott den Menschen nicht zur Herrschaft über seine Schöpfung bestellt? Aber Herrschaft heißt nicht Ausbeutung, nicht gnadenlose Ausrottung, nicht Gleichgültigkeit, nicht Egoismus eines Herrschers, der sich zum Mittelpunkt von allem macht. Herrschaft, zumindest die eines guten Herrschers, hat mit Verantwortung an dem und den Anvertrauten zu tun.

Und die Barmherzigkeit? Zu der wir aufgerufen sind auch den Tieren gegenüber?

Da ist die schöne Geschichte von Jona, den Gott nach Ninive schickte um dieser Stadt den Untergang zu prophezeien. Am Ende verschont Gott die Stadt- zum Ärger des Propheten. Mit welchen Worten lässt Gott ab von seinem Plan?. Als Jona um die Staude weint, die ihm in der Hitze der Tage Schatten spendete und verdorrte, sagt Gott:

„Dich jammert die Staude, um die du dich nicht gemüht hast, hast sie auch nicht aufgezogen, die in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt , in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu so viele Tiere?“

Nein, wir sind nicht Gott, aber wir Menschen spielen uns oft so auf als gehörte die ganze Welt uns. Demütig machen müsste uns diese Geschichte.  Diese Geschichte, in der Gott in seinem Erbarmen und seiner Gnade die Menschen und die Tiere in einem Atemzug nennt. „Und dazu so viele Tiere.“

Das ist das letzte Wort im Buch Jona. Aber nicht das letzte Wort über uns und unsere Welt.

Die Bewahrung der Schöpfung, unsere Verantwortung den Mitgeschöpfen gegenüber und unsere Barmherzigkeit ihnen gegenüber, das ist ein weites Feld.

Aber irgendwo müssen, dürfen, sollen wir anfangen. Und wenn wir angefangen haben, dann sollen wir nicht wieder aufhören, nicht nachlassen. Wie Peter Beier, Erich Fried, Albert Schweitzer.

Naja, und vielleicht kommen dann doch zu unserer Beerdigung zwei oder drei…

Aber zumindest könnten wir uns freuen und beruhigt gehen, wenn es sie noch nach uns gibt: die Schmetterling und Käfer, die Ameisen und Regenwürmer…und auch die anderen Tiere, von denen wir endlich verstehen, dass sie Schmerz empfinden, trauern, sich freuen können. Weinen können sie vielleicht nicht. Aber Teil sind sie von Gottes  wunderbarer Schöpfung.

Ich schließe mit Erinnerungen von Albert Schweitzer:

Zur Osterzeit, Albert Schweitzer war noch ein Junge, wurde er von einem Freund aufgefordert auf Vögel zu schießen.

„Dieser Vorschlag war mir schrecklich, aber ich wagte nicht zu widersprechen, aus Angst er könne mich auslachen. So kamen wir in die Nähe eines kahlen Baumes, auf dem die Vögel, ohne sich vor uns zu fürchten, lieblich in den Morgen hinaus sangen. Sich wie ein jagender Indianer duckend legte mein Begleiter einen Kiesel in die Schleuder und spannte sie. Seinem gebieterischen Blick gehorchend tat ich dasselbe, mir fest gelobend, daneben zu schießen. In demselben Augenblick fingen die Kirchenglocken an in den Sonnenschein und Vogelgesang hinein zu läuten. Für mich war es eine Stimme aus dem Himmel. Ich tat die Schleuder weg, scheuchte die Vögel auf, dass sie wegflogen und floh nach Hause. Und immer wieder, wenn die Glocken der Passionszeit klingen denke ich ergriffen und dankbar daran, wie sie mir damals das Gebot: Du sollst nicht töten ins Herz geläutet haben. Von jenem Tag an habe ich gewagt mich von der Menschenfurcht zu befreien.“